Eine persönliche Reaktion von Pfarrer Gregor Schmoly auf den Artikel „Aktivisten: Ethik bei Religionen „in schlechten Händen““ (https://religion.orf.at/stories/2991475/)
Der Religionsunterricht steht zur Diskussion – wieder einmal. In fast schon regelmäßigen Abständen wird debattiert, ob in einem aufgeklärten Staat der konfessionelle Religionsunterricht noch seine Existenzberechtigung hat beziehungsweise ob gewisse Themen darin überhaupt reflektiert werden dürfen.
Das neueste Beispiel dafür ist die Initiative „Ethik für alle“, die auch hinter einem Volksbegehren steht. Im Zuge der bereits beschlossenen Einführung des Ethikunterrichts - nur für diejenigen Schülerinnen und Schüler, die den konfessionellen Religionsunterricht nicht besuchen - wird nun ein Ethikunterricht für alle gefordert. Dass dieser Appell in Zukunft auf Kosten des Religionsunterrichts gehen würde, liegt auf der Hand, sind doch die bezahlten Unterrichtseinheiten im Schulalltag begrenzt.
Erschreckend ist weniger die nüchterne Diskussion (welche die Religionspädagoginnen und Religionspädagogen schon gewohnt sind), sondern vielmehr die Vorurteile, die dem Religionsunterricht undifferenziert entgegengeschmettert werden. Die Angst vor Dogmatismus im Unterricht sowie Indoktrination der Schülerinnen und Schüler scheint groß. Dabei wird vielfach unterstellt, dass sich die Religionspädagogik nicht weiterentwickelt habe und Lehrinhalte nur unhinterfragt unterrichtet würden, ohne einer differenzierten Diskussion im Unterricht Raum zu geben. Von diesem Modell hat sich jedoch die Evangelische Kirche schon lange verabschiedet.
Aussagen wie Ethik sei im Religionsunterricht „in schlechten Händen“, da es in diesem Unterricht ausschließlich „vorgefertigte Antworten“ und vorgetäuschte „Scheindiskussionen“ gäbe, zeigen nur ein stark verzerrtes Bild, das von Gegnerinnen und Gegnern des Religionsunterrichts ins Feld geführt wird. Methodisch wird das Religionsfach mit diesen Aussagen einfach auf bestimmte negative Modelle reduziert, wobei sich ein evangelischer oder katholischer Religionsunterricht, der sich an den modernen Standards der Religionspädagogik orientiert, gar nicht wiederfindet.
Ist das die wissenschaftliche Objektivität, die sich viele Initiatoren des Volksbegehrens „Ethik für alle“ sosehr auf die Fahnen heften? Mit falschen Tatsachen oder starker Verkürzung ein öffentliches Bild des gesamten (also auch evangelischen) Religionsunterrichts zu schaffen, ist einer ansprechenden Debatte jedenfalls nicht würdig!
Überaus bedenklich ist die Aussage der bekannten Religionskritikerin und Genetikerin Renée Schröder, die meint, dass bioethische Fragen (also Fragen, in denen es um den Umgang mit dem Leben angesichts der modernen technischen, medizinischen und naturwissenschaftlichen Forschung geht) den Religionsunterricht überhaupt nicht betreffen würden. Mit einer gewissen Verachtung meint Schröder: „Das hat mit Religion gar nichts zu tun, sondern mit Wissenschaft.“ Die starke Reduktion des Wissenschaftsbegriffes ausschließlich auf Naturwissenschaften, wobei hierdurch die Geisteswissenschaften lapidar abgewertet werden, ist bei Renée Schröder leider wiederholt zu beobachten.
Natürlich ist der Genetikerin dabei recht zu geben, dass Ethik vermehrt mit den komplexer werdenden Naturwissenschaften zu tun hat. In den ethischen Fragestellungen werden die Inhalte der modernen Forschung immer wieder reflektiert und für das Leben der Menschen moralisch bewertet. Es wäre jedoch eine große Gefahr, würde die Naturwissenschaften in Fragen der Bioethik einen Absolutheitsanspruch erheben und sich nicht mehr, möglichst allgemeinverständlich, rechtfertigen müssen. Die meisten Menschen wären ausgeliefert, in der Diskussion ausgeklammert und müssten sich allen Forderungen und Ansichten einer Forscherelite beugen. Ethik kann also nur interdisziplinär betrachtet werden, wobei hier auch den Religionen eine Stimme gegeben werden muss. Gerade der Religionsunterricht bietet sich für eine mannigfaltige Beschäftigung mit ethischen Fragestellungen aufgrund seiner vielfältigen methodischen Möglichkeiten an. Auch an dieser Stelle muss betont werden: es geht hier nicht um das Aufzwingen der Meinungen, sondern um die Betrachtung so manch komplexer Fragestellungen, die auch innerhalb des Christentums eine Vielzahl begründeter Meinungen hervorbringen.
Gar gegen die menschlichen Grundrechte stellt sich die Forderung der Initiatoren „Ethik für Alle“, dass Religionslehrerinnen und Religionslehrer, die eine qualifizierte, zusätzliche (!), Ausbildung im Bereich Ethik haben (etwa als zweites Fach), das Schulfach Ethik gar nicht unterrichten dürften. Diese Überzeugung ist eine reine Diffamierung auf Grundlage der Religionszugehörigkeit, die im 21. Jahrhundert so nicht mehr verlangt werden darf. Welche Forderung kommt als nächste? Etwa, dass Religionslehrerinnen und Religionslehrer trotz entsprechender Ausbildung nicht mehr Naturwissenschaften oder Mathematik unterrichten dürfen? Es sollte nicht vergessen werden: das Schulfach Ethik ist nicht konfessionell gebunden, sondern wird nach derzeitigem Gesetz für alle Schülerinnen und Schüler zum Pflichtfach, wenn diese den Religionsunterricht nicht besuchen.
Die Forderung der Initiatoren wird auf die Spitze getrieben, wenn zusätzlich sogar dazu aufgerufen wird, dass „offen religiös lebende Lehrer“ für das Fach Ethik gesperrt sein sollten. Zum einen stellt sich hier die Frage, was bedeutet „offen religiös lebend“ in dieser Definition, zum anderen wird hier unterstellt, dass nur Menschen, die sich von Religion distanzieren, das Schulfach Ethik objektiv unterrichten könnten. Diese wiederum starke Reduktion auf eine gewisse Menschengruppe ist eine weitere Diskriminierung aufgrund religiöser Überzeugung sowie eine Missachtung der Menschenrechte, was auch ein ansprechendes Thema eines objektiven Ethikunterrichts wäre.
Abschließend ist zu bemerken, dass es irreführend wäre, die Religionen als ein Gegenmodell zu einer modernen Ethik zu positionieren. Es ist durchaus verständlich, dass die Religionen in einer pluralen Gesellschaft keinen Absolutheitsanspruch auf ethische Fragestellungen erheben können und auch Ansichten der Religionen hinterfragt beziehungsweise diskutiert werden müssen. Genau das wird auch in einem modernen, verantwortungsvollen Religionsunterricht getan, zudem sich die Evangelische Kirche in Österreich bekennt! Christsein bedeutet schließlich auch, in Freiheit und Verantwortung zu seinen Überzeugungen zu stehen.
Ethik ist eine sehr vielfältige, komplexe Disziplin, die nicht nur von einem Bereich vereinnahmt werden darf. Das gilt für die Religionen genauso wie für die Wissenschaften aller Fachgebiete – denn diese Fragestellungen betreffen die Menschheit als Ganzes.
/ Gregor Schmoly /