Die Geschichte der Religionsfreiheit ist älter als das Christentum. Seit es Menschen gibt wechseln sich Epochen mit rela-tiver Toleranz in religiösen Fragen mit Zeiten gnadenloser Verfolgung von Andersgläubigen ab. Auch die Geschichte des Christentums zeigt hässliche Spuren religiöser Intoleranz.
Heute ist die „Religionsfreiheit“ in den westlichen Staaten eine Selbstverständlichkeit. Der Begriff „Religionsfreiheit“ wird jedoch gerne missverstanden. Stand in der Vergangenheit hinter der Forderung nach Religionsfreiheit der Wunsch, dass jeder Mensch sich für die Religion entscheiden darf, die seinem Glauben angemessen scheint, so wurde in der Neuzeit aus der Freiheit „für“ eine Religion die Freiheit „von“ jeglicher Religion. Und nur zu gerne wird die Freiheit „von“ jeder Religion, also die Religionslosigkeit, zum Ideal einer aufgeklärten Gesellschaft hochstilisiert. Dabei wird jedoch eines übersehen: Auch der „Atheismus“ ist ein Glaube, eine Religion. Die Überzeugung, dass es keinen Gott gibt, und der Mensch damit sein eigener Gott sein darf, erfordert sehr viel „Glauben“ und trägt in den meisten Fällen recht betrübliche Früchte.
Modern ist es auch, den Glauben zur Privatsache zu erklären. Es geht dabei nicht um die Freiheit von einer Religion, sondern um die Freiheit von einer Kirche. Der Glaube soll in das private Kämmerlein und in die persönlichen Spaziergänge im Wald verbannt werden. Was übrig bleibt, ist eine glaubens- und religionslose Gesellschaft. Sobald wir geistige oder geistliche Elemente des Lebens in das Private verbannen, verlieren sie ihre gesellschaftsprägende Kraft. Was wäre aus unserer Kultur geworden, wenn alle Künstler ihr Wirken im privaten Kämmerlein verborgen hätten? Die Religion, die Philosophie, die politische Ideengeschichte brauchen Öffentlichkeit: einerseits, um wirksam zu sein, andererseits aber auch um kontrollierbar zu bleiben. Eine Kirche muss für ihre Lehren vor der Öffentlichkeit gewissermaßen „geradestehen“. Eine politische Partei muss ihre Überzeugungen vor den Wählern öffentlich vertreten. Ein Philosoph muss seine Ansichten publik machen und jeder Künstler sein Schaffen der Kritik durch die Gesellschaft aussetzen.
Wer die Kirchengeschichte nicht nur als Abfolge von Machtkämpfen und Kriegen versteht, sondern auch ein Wissen darüber hat, wie nachhaltig das Evangelium diese Welt im guten Sinne geprägt hat, kann unmöglich dafür eintreten, dass die Religion und die Kirche aus der Öffentlichkeit verschwinden sollten. Es hat in den Kirchen genügend Barbarei gegeben, aber ohne das öffentlich gepredigte Evangelium wird es um unsere Welt nicht besser, sondern in sehr kurzer Zeit noch sehr viel schlechter bestellt sein.
Wir treten als evangelische Christen selbstverständlich für die Religionsfreiheit ein. Wir warnen aber vor der individuellen Entscheidung zur Freiheit „von“ der Religion, vor der Abschaffung des Evangeliums als weltgestaltende Kraft, vor dem Verdrängen der Kirchen aus der öffentlichen Wahrnehmung. Denn eine solche Freiheit führt geradewegs in die Gefangenschaft unter einen gottlosen und damit menschenverachtenden Zeitgeist.
Der Ruf Jesu – „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken“ (Matth. 11,28) - muss weiter öffentlich gehört werden. Unangetastet bleiben muss aber auch die Freiheit des einzelnen Menschen, diesem Ruf zu folgen, oder nicht.