Predigt von Pfr. Udo Schmitt über 2. Kor. 6,1-10 vom 26.02.2012 gehalten in der Dorfkirche Wertherbruch
Stellen sie sich mal einen amerikanischen Highschoolfilm vor. Und darin: So ein junger sportlicher Typ mit flottem Sportwagen, einer der immer lässig gekleidet und gut frisiert ist, mit einem strahlenden Lächeln, das die Herzen gleich gewinnt, einer, der gut reden kann, einer, der bei den Frauen ankommt, einer, der reiche Eltern und gute Noten hat, einer, der sich jetzt schon sicher sein kann, dass er sein Leben macht und dazu bestimmt ist, einmal berühmt zu werden. Wer möchte nicht so sein? Ein Star. Ein Gewinner. Ein Sieger. All das hatte Paulus nicht. Nein, Paulus war kein besonders ansehnlicher Typ. Eher eine schwierige Persönlichkeit. Ärmlich, kleinlich, unscheinbar und offenbar behindert… er weiß, was es heißt, geschlagen zu werden, er kennt Verfolgung und Gefängnis, er kennt Angst und Bedrängnis, er weiß, was es heißt, angespuckt und ausgelacht zu werden. Na und – sagt er. Was kümmert es mich? Und das war seine Stärke, dass er "Na und?" sagen konnte, und dass er gewiss war, dass all das Hässliche und Unangenehme, das ihn hier quält, nichts ist, wirklich nichts, im Vergleich zu der Herrlichkeit, die wir alle noch sehen werden in Jesus Christus (Römer 8, 18). Als Christen wissen wir, dass unser Wert nicht darin liegt, was wir von außen scheinen. Es ist nicht entscheidend, was andere von uns sagen, im Guten wie im Schlechten. Als Christen müssen wir nicht schön, stark und erfolgreich sein, uns selbst beweisen, immer wieder, nein, das muss nicht sein, denn uns ist bewusst, wie wenig wir doch letzten Endes sind und können. "Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren", so singen wir es im Lied von Martin Luther (EG 362). Und in den bewegenden Abschiedsworten des Johannes Calvin heißt es: "Ich habe viele Schwächen gehabt, die Ihr ertragen musstet, und selbst all das, was ich getan habe, ist im Grunde nichts wert. Die schlechten Menschen werden diesen Ausspruch bestimmt ausschlachten. Aber ich wiederhole noch einmal, dass all mein Tun nichts wert ist und ich eine elende Kreatur bin. Ich kann allerdings wohl von mir sagen, dass ich das Gute gewollt habe, dass mir meine Fehler immer missfallen haben und Gottesfurcht in meinem Herzen Wurzeln geschlagen hat." (zitiert nach: Calvin-Studienausgabe, Bd. 2, hg. v. E. Busch u.a., Neukirchen-Vluyn 1997, 299) Und Martin Luther hat einen Tag vor seinem Tod diese letzten Worte auf einen Zettel geschrieben: "Wir sind Bettler. Hoc est verum" (das ist wahr). Was wir haben, das haben wir von Gott. Und was wir sind, sind wir nur, weil Gott es gewollt hat. Wir sind wie die Sterbenden, und siehe, wir leben; wie die Gezüchtigten und doch nicht getötet; wie die Traurigen, aber allezeit fröhlich; wie die Armen, aber die doch viele reich machen; wie die nichts haben und doch alles haben. Gunter S. war einer der alles hatte. Er kam aus einem reichen Elternhaus, lebte auf der Überholspur des Lebens, feierte viel, liebte schöne Frauen, heiratete Berühmtheiten und trennte sich wieder, war selber Künstler und trat als Sponsor auf für Kunst, Kultur und alle möglichen Spinnereien. Die Presse nannte ihn den letzten deutschen Playboy. Wer wollte nicht so sein? Am Ende war er allein und setzte seinem Leben selbst ein Ende, aus Angst, nicht mehr die geistige Kontrolle über sich zu haben. Das wäre für ihn ein würdeloser Zustand. Das, so sagt man ja auch schnell, das ist doch kein Leben. Stimmt das? Ist das kein Leben? Ich will diesen Menschen nicht diffamieren. Zugegeben, zu Lebzeiten war er mir nicht sympathisch. All diese Schicki-Micki-Sylt-und-Sekt-society ist mir zutiefst zuwider, zu oberflächlich und hohl. Aber am Ende empfand ich – wie viele andere auch – so etwas wie Mitleid. Ein alter Mann, der vergesslich wird und der Angst hat, vielleicht auch Depressionen, der jedenfalls das Gefühl hat, nichts mehr wert zu sein. Er ist allein und schießt sich eine Kugel in den Kopf. Das ist kein heroischer Freitod – das ist wirklich traurig. War da keine Frau, kein Freund, keine Familie, die bereit gewesen wäre, seine Fehler zu verzeihen und seine Schwächen zu ertragen? Armer reicher Mann: Einer, der alles hatte – und der nichts hatte. Paulus, der nichts hatte – hatte mehr als er. Er hatte seinen Glauben und er hatte die Hoffnung – auf Leben. Viele Menschen heute haben diese Hoffnung nicht mehr. Sie sagen: Da kommt nichts mehr. Nimm, was du kriegen kannst, und genieße dein Leben jetzt und hier. Genieße dein Leben! Enjoy your life! Das ist so etwas wie ein Dogma unserer Zeit: man MUSS sein Leben genießen. Muss... Und was wenn nicht? Wenn ich nicht genießen kann – was dann? Was wenn mir das Leben ver-leidet ist. Wenn eine Krankheit, ein Schmerz es mir verleidet… Wenn ein böser Nachbar oder ein mieser Chef es mir verleidet… Oder die Angst mich nicht atmen lässt, die Angst den Arbeitsplatz zu verlieren, die Angst einen geliebten Menschen zu verlieren, die Angst jung zu sterben, ohne die Liebe zu kennen, wertlos und ungeliebt… die Angst alt zu werden, nutzlos und verbraucht, abgeschoben… Was wenn ich so oder so an diesem Leben leide? Wie soll ich es dann genießen können? Enjoy your life! Enjoy your life! – und was wenn nicht? Was dann? Ist dann mein Leben nichts wert. Bin ich dann lebensunwert? Muss ich dann auch Schluss machen?? Ich sage: Nein. Das kann es doch nicht sein. Welcher Teufel hat uns eigentlich eingeredet, dass man immer jung und schön bleiben muss? Dass man allzeit leistungsbereit und erfolgreich sein kann? Dass für uns immer nur die Sonne scheint und es nie Nacht und Nebel gibt in unserm Leben? Nein, sie belügen euch. Sie sind nicht glücklich. Sie tun nur so. Machen sich selber weiß, dass ihr aufgemaltes Lächeln echt ist und ihre aufgespritzte Jugend ewig hält. Aber wenn sie dann doch leiden oder einfach nur alt werden, und können es nicht mehr verbergen, dann fällt ihnen nichts mehr dazu ein. Passionszeit: Als Christen erinnern wir uns daran, dass Jesus für uns durch das Leiden gegangen ist. Es war am Ende ein Weg, der zum neuen Leben führt, das ja. Aber es war kein Wellness-Way, keine Schlemmerreise, nein, es war kein schöner Weg. Und er hat ihn nicht genossen. Und doch ist er dem Leiden nicht ausgewichen, hat es angenommen, hat es auf sich genommen, wurde verraten, verlästert, verspottet, wurde geschlagen, gefoltert, getötet. Er tat es, damit wir leben. Paulus steht in der Nachfolge von Jesus. Er folgt seinem Weg. Und auch er hat das Leiden erlebt. Doch weil Jesus lebt, kann er zu all diesem Leiden, das sein Leben prägt, JA sagen oder einfach nur: Na und? All das Leiden macht zwar für sich genommen noch keinen Sinn. Man soll das Saure nicht süß reden. Und Zahnschmerzen kriegt man auch mit positivem Denken nicht weg. Aber all das Leiden, das Paulus erlebt, das auch wir erleben, du und ich, ist nicht mehr ganz so schlimm, wenn ich weiß, dass dieses Leben hier nicht alles ist. Da kommt noch mehr. So sind wir die Traurigen, die aber allezeit fröhlich bleiben; So sind wir die Armen, die doch viele reich machen mit ihrer Hoffnung; So sind wir die, die nichts haben und doch alles haben.